Tauchunfall- eine Krankheit?

Versicherungsgericht: Bundesrichter widersprechen Aargauer Justiz

wer beim Tauchen in geringen Tiefen zu schnell auftaucht und einen Dekompressionsschaden davonträgt, erleidet keinen Unfall im Rechtssinne. Deshalb muss nicht die Unfallversicherung, sondern die Krankenkasse für die Kosten des Tauchunglücks aufkommen. Dies hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden.

Im Januar 2003 verspürte ein Taucher beim Aufstieg in einer Tiefe von 5 bis 7 Metern Lähmungen in den Armen, worauf er sich ohne den üblichen Zwischenhalt auf einer Höhe von 3 Metern unter dem Wasserspiegel an die Oberfläche begab. Dort angekommen, musste er erst erbrechen und wurde dann bewusstlos.

Streit über Versicherungszuständigkeit
Der heute 52-jährige Mann erlitt ein Dekompressionstrauma und ist seither querschnittgelähmt. In der Folge entstand ein Streit zwischen dem Unfallversicherer des Tauchers, der Zürich Versicherungsgesellschaft, und dem Krankenversicherer, der Helsana, über die Frage, wer die Kosten für die Folgen des Tauchunfalles zu übernehmen hat. Die Zürich Versicherung stellte sich auf den Standpunkt, es liege rechtlich kein Unfall vor, weshalb die Krankenkasse Helsana zahlungspflichtig sei.

Der Streit landete vor dem Aargauer Verwaltungsgericht, welches das Tauchereignis als Unfall einstufte. Anders hat jetzt das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern entschieden. Aufgrund jahrzehntelanger Rechtsprechung gilt als Unfall im Rechtssinne «die plötzliche, nicht beabsichtigte, schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper». Nach Meinung der Luzerner Bundesrichter liegt beim umschriebenen Tauchereignis kein ungewöhnlicher äusserer Faktor vor.

Der Taucher habe einen routinemässigen Tauchgang unternommen und sich dabei normal verhalten. «Das Einzige, was von aussen auf ihn eingewirkt und die nachfolgende Lähmung verursacht haben kann, ist der sich verändernde Druck des Wassers. Dieser wurde aber nicht durch irgendetwas „Programmwidriges“ von ausserhalb beeinflusst», heisst es wörtlich im Urteil aus Luzern. Und weiter: «Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Druckveränderungen, welchen der Versicherte beim gesamten Tauchgang ausgesetzt war, sich im üblichen Rahmen hielten.» Daraus schliesst das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass kein Unfall vorlag und deshalb nicht die Unfallversicherung, sondern die Krankenkasse für die Kosten des Tauchunglücks aufzukommen hat.

Das Parlament ist gefragt
Mit ihrem Entscheid zementieren die Luzerner Bundesrichter weiterhin einen Unfallbegriff, der zahlreiche Ereignisse, welche der Bürger als Unfälle und nicht als Krankheit wahrnimmt, von der Unfallversicherung ausschliesst. Bei Sportverletzungen bejaht das Eidgenössische Versicherungsgericht das Vorliegen eines Unfalles nur dann, wenn die sportliche Übung anders verläuft als geplant. Kein Unfall liegt deshalb etwa auch dann vor, wenn jemand bei einem Purzelbaum oder beim Jiu- Jitsu- Training die Halswirbelsäule staucht bzw. quetscht. In all diesen Fällen müssen anstelle der Unfallversicherungen die Krankenkassen für die Kosten aufkommen, obschon kaum von einer Krankheit gesprochen werden kann.

Beim Tauchunfall kommt etwas Weiteres hinzu. Die Schweizerische Unfallversicherung stuft das Tauchen in einer Tiefe von über 40 Metern als Wagnis ein und kürzt bei Unfällen die Leistungen um 50 Prozent. Auch wer weniger tief taucht, geht ein gewisses Risiko ein. Das Tauchen ist eine Sportart, die immer wieder zu Unfällen führt. Wieso die finanziell arg gebeutelten Krankenkassen und letztlich die Prämienzahler - anstelle der Unfallversicherungen - die Kosten bei Tauchunfällen mit Dekompressionsschäden zu tragen haben, ist nicht einzusehen. Ein Tauchunfall ist jedenfalls keine Krankheit. Das Parlament ist gefragt, diesen Missstand zu beseitigen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht ist offensichtlich nicht in der Lage dazu. (tzi)

Quelle: Mittelland Zeitung, Ausgabe vom 17.12.2004 / Seite 23
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